Die Kirche fasst Fuß
Ein Geistlicher vor seiner Gemeinde auf der Kanzel, aus der Gesetzeshandschrift Reykjabók AM 345 fol. |
Reiche Bauern errichten Kirchen
In den Anfangsjahren des Christentums auf Island mangelte es nicht nur an Priestern, sondern auch an Kirchen. Viele wohlhabende Häuptlinge und Bauern ließen daher auf ihrem Besitz Kirchen errichten und ihre Söhne oder andere vielversprechende Jungen eine Priesterausbildung absolvieren. Die isländische Kirche war zunächst eine Bauern- oder Eigenkirche, in der die Kircheneigentümer über die Kirchen und die Priester bestimmten. Deren Söhne (und später möglicherweise auch Töchter,die man im In- und Ausland studieren ließ, übernahmen dann Ämter und Bildungstätigkeit an den Kirchen. Eine ähnliche Entwicklung vollzog sich im frühen Christentum der übrigen nordischen Länder, in denen die Macht der Kirche allerdings schon früher gewachsen war. Auf Island hatte die weltliche Obersicht somit längere Zeit Einfluss auf die Kirche und die Entstehung der Buchkultur des Landes.
Inländische Kirchenleitung
Zwei mächtige Familien, die Haukdælir und die Oddaverjar, taten sich besonders hervor was die Prägung und Führung der frühen isländischen Kirche betrifft. Sie waren die Nachfahren dreier Oberhäupter aus der Zeit der Christianisierung, Síðu-Hallur Þorsteinsson, Gizur Teitson, genannt der Weiße, und dessen Schwiegersohn Hjalti Skeggjason, die untereinander auf verschiedenste Weise verbündet waren. Die Haukdælir und die Oddaverjar übten während der Freistaatzeit sowohl auf weltlichem wie auch auf geistlichem Gebiet großen Einfluss aus. Auf ihrem Stammsitz im Haukadalur in der Region Biskupstungur, sowie auf Oddi im Bezirk Rangárvellir entstanden die bekanntesten Bildungsstätten des Landes außerhalb der Bischofssitze und Klöster.
Bis ins 13. Jahrhundert hatten nahezu alle Bischöfe des Landes Síðu-Hallur als gemeinsamen Vorfahren und stammten zudem meist aus der Familie von Gizur dem Weißen. Teitur Ísleifsson, sein Enkel, war der Stammvater der Haukdælir. Die Oddaverjar, der Priester Sæmundur Sigfússon der Gelehrte und dessen Nachkommen waren bekannt für ihre Gelehrsamkeit und hatten großen Anteil an der Herausbildung der isländischen Kirche, wenngleich siekaum einmal deren höchste Ämter innehatten. Sie galten als eine der größten und wichtigsten Familiendes Landes und konnten auf Verbindungen zum norwegischen Königshaus verweisen, da Loftur, der Sohn Sæmundurs, Þóra, die Ziehtochter des norwegischen Königs Magnús Barfuß, um 1120 geheiratet hatte. Ihr gemeinsamer Sohn, Jón Loftsson von Oddi (1124-97), war zu seiner Zeit dasangesehenste Oberhaupt des Landes. Einige einheimische gelehrte Literatur, z.B. das Erste Grammatische Traktat,wie auch die Anfänge der Niederschrift der Königssagas, Oddaverjar zugeschrieben.
Der erste Bischof des Landes
Ísleifur (1006-1080), der Sohn Gizurs des Weißen, war, mit Sicherheit, der erste Isländer, der ein Literaturstudium betrieb. Schon in jungen Jahren reiste er im Gefolge seines Vaters nach Herford um im dortigen Kloster zu studieren. Das Kloster war damals eine der bedeutendsten Bildungsstätten des Adels und stand in engem Kontakt zudem Kloster von Corvey, einem wichtigen Zentrum der Missionierung der nordischen Länder. Von dort kam beispielsweise Ansgar, der erste Erzbischof von Hamburg und Bremen (gestorben 865), um die Missionierung Skandinaviens zu organisieren. Diese Verbindungen führten möglicherweise zum Studienaufenthalt Ísleifurs in Herford. Am Ende seiner Lehrzeit wurde er zum Priester geweiht und kehrte nach Island zurück.
Ein bedeutsames Ereignis für die isländische Kirche war die Weihe Ísleifurs zum ersten Bischof Islands im Jahre 1056. Er bekam den Auftrag, die Kirche und das Christentum des Landes zu leiten. Er hatte keinen festen Bischofssitz und ließ sich in Skálholt, auf dem Land, das seinem Vater gehört hatte, nieder. Es heißt, er habe dort eine Schule für die Ausbildung von Priestern gegründet. Die Bischöfe waren für die Ausbildung der Priester ihres Bezirks verantwortlich. Es wird zu dieser Zeit sicherlich kein gesondertes Schulgebäude oder Unterrichtsräume in Skálholt gegeben haben. So erhielten die Schüler wahrscheinlich Einzelunterricht.
Der Unterricht Ísleifurs in Skálholt
Ísleifurs Ausbildung im„Land der Sachsen“ (Westfalen)prägte in seiner Zeit zweifelsohne das Christentum und die Wissenschaft im Land. Vom Schulwesen, das zuvor in der Obhut der Missionsbischöfe und Wanderpriester gewesen und für das nun der Bischof des Landes verantwortlich war, berichtet Ari der Gelehrte in seiner Íslendingabók: „Und als die Höfdinge [die Häuptlinge] und die guten Leute sahen, dass Ísleifur viel fähiger war als die anderen Geistlichen, die in diesem Land zu finden waren, schickten ihm viele ihre Söhne zur Ausbildung und ließen sie zu Priestern weihen. “(Übers. Klaus Böldl: In: Isländersagas. Texte und Kontexte. Frankfurt am Main 2011, S.222). In der Kristni saga aus dem 13. Jahrhundert heißt es über den Unterricht Ísleifurs: „Er unterrichtete viele gute Männer und ließ sie zu Priestern weihen. Zwei von ihnen wurden später Bischof, Jón Ögmundsson der Heilige und Kolur.“ Jón wurde der erste Bischof in Hólar, Kolur (oder Kollur) wurde Bischof in Vik in Norwegen und hatte seinen Sitz dort, im heutigen Oslo.
Die Stützen der einheimischen Kirche
Gizur (1042-1118), der Sohn von Ísleifur, wurde der nächste Bischof Islands, geweiht 1082, zwei Jahre nach dem Tod seines Vaters. Er war im Ausland, als Ísleifur starb, kehrte aber im folgenden Sommer wieder nach Hause zurück, woraufhin er zum Bischof gewählt und ein Jahr später geweiht wurde. Gizur hatte wahrscheinlich ebenfalls in Deutschlandstudiert und war während seiner Bischofszeit eine wichtige Stütze der einheimischen Kirche. Er machte den Stammsitz der Familie, Skálholt, zum festen Bischofssitz und brachte 1097, als Erster in Skandinavien, die Einführung des Kirchenzehnten auf den Weg. Dieser wurde zweifellos erhoben, wenngleich Quellen dazu fehlen. Der Kirchenzehnte war eine Besitzsteuer, die den Betrieb des Bischofssitzes und der Kirchen, die Priesterlöhne und Armenhilfe sicherte. Auf Wunsch der Nordisländer teilte Gizur das Land in zwei Diözesen auf und gründete 1106 einen Bischofssitz in Hólar im Hjaltadalur.
Die Kirche in Hólar im Winter. Bild von Wikipedia. |
Ein Bischofssitz in Hólar
Jón Ögmundsson (1052-1121) wurde zum ersten Bischof von Hólar gewählt. Er hatte bei Ísleifur in Skálholt studiert, anschließend in Dänemark und Norwegen. Jón wurde 1106 vom Erzbischof in Lund geweiht, dem Island seit der Gründung eines dortigen Bischofssitzes im Jahre 1104 unterstellt war. Von der Weihefahrt brachte er Holz zum Bau einer Kirche mit und errichtete in Hólar eine für isländische Verhältnisse stattliche Domkirche. Dort gründete er bald eine Priesterschule und wurde von zwei Lehrern aus Lund unterstützt, die bei ihm Latein und Gesang unterrichteten. Jón Ögmundsson legte auch den Grundstein für das erste Kloster des Landes, in Þingeyrar im Bezirk Húnavatn. Offiziell wurde es aber erst 1133 in Betrieb genommen, nach Jóns Tod .
Häuptlinge stärken das Christentum
Einer der Oddaverjar, Sæmundur der Gelehrte (1056-1133), war der Sohn eines Priesters aus der Familie Síðu-Hallurs, ein jüngerer Zeitgenosse des Bischofs Gizur und Altersgenosse des Bischofs Jón. In jungen Jahren wurde er zum Studium geschickt, wahrscheinlich nach Frankreich. Nach mehrjähriger Abwesenheit kehrte Sæmundur nach Hause zurück, empfing die Priesterweihe und ließ sich auf dem väterlichen Land und Godentum in Oddi nieder. Quellen berichten von seiner Unterweisung und seinen lateinischen Schriften, möglicherweise den ersten eines Isländers. Allerdings sind, soweit man weiß, keine seiner Schriften erhalten geblieben. Dennoch haben sie die einheimische gelehrte Literatur mitgeformt und späteren Werken als Quelle gedient.
Die mächtigen Männerdes Landes, allen voran Sæmundur der Gelehrte und Bischof Gizur und deren enge Mitarbeiter, Verwandte und Nachfolger, versuchten mit vereinten Kräften, die Kirche im Landzu etablieren. Vorbilder für die Kirchenleitung, die Erarbeitung von Vorschriften und die Erhebung von Steuern suchten sie sicherlich in ihren Studienjahren in Deutschland und Frankreich. Die Niederschrift der Landesgesetze nach mündlicher Überlieferung, das heißt nach dem Gesetzessprecher Markús Skeggjason, begann beispielsweise im Winter 1117-1118 bei Hafliði Másson in Breiðabólstaður im Bezirk Húnaþing, einem Schwiegersohn von Teitur Ísleifsson im Haukadalur, dem Bruder Gizurs. Die Niederschrift der Gesetze erfolgte auf Anregung der Männer der Kirche, die mit der Vorstellung, dass Gesetze in Büchern stehen sollten, vertraut waren.
Gizur- König und Bischof
In der Erzählung Hungurvaka ist die Amtszeit Bischof Gizurs von einem besonderen Glanz umgeben: „Man konnte wahrlich sagen, dass er sowohl König alsauch Bischof des Landes war, solange er lebte.“ Zweifelsohne kommt in dieser Wortwahl die Bedeutung Gizurs als Formgeber und Förderer des Christentums auf Island zum Ausdruck. Die Gesetzgebung, die Einführung des Kirchenzehnten und des Kirchenrechts gehörte auch eher zum Aufgabenbereich einflussreicherer Fürsten, Könige oder Erzbischöfe, als dass einfache Bischöfe einzelner Diözesen sie durchführten.
Hungurvaka berichtet auch, wie Sæmundur der Gelehrte und der Gesetzessprecher Markús Skeggjason zusammen mit Bischof Gizur die Einführung des Kirchenzehnten vorantrieben. Hafliði Másson stand hinter der Wahl von Bischof Jón von Hólar zusammen mit Sæmundur und Gizur. Diese Männer hatten ohne Zweifel entscheidenden Einfluss auf die Anfangsjahre der isländischen Kirche.
Die Jahre 1122-33
Der Zeitraum von 1122-33 markiert eine Zeitenwende inmitten zweier bedeutender Ereignisse in der Geschichte und Literatur Islands. Im ersten genannten Jahr wurde Ketill Þorsteinsson (1074-1145) zum Bischof von Hólar geweiht (er war ein enger Verwandter Sæmundurs und Schwiegersohn von Bischof Gizur), letzteres ist das Todesjahr von Sæmundur dem Gelehrten und von Þorlákur Runólfsson (1086-1133), dem Bischof von Skálholt. Das erste (alte) christliche Recht des Landes wurde auf Initiative dieser Bischöfe sowie Sæmundurs und Össurs, des Erzbischofs von Lund, eingeführt. Zur selben Zeit begann mit der Íslendingabók Aris des Gelehrten die Niederschrift der Volks- und Kirchengeschichte. Hinter beiden Werken standen dieselben Männer, möglicherweise gab es eine gedankliche Verbindung. Mit dem christlichen Recht wurde eine juristische Grundlage für die christliche Kirche und das Glaubensleben der Isländer gelegt, in der Íslendingabók eine geschichtliche Grundlage und ein erstes Selbstbild des christlichen Freistaats. Das Werk scheint sich direkt an die Isländer zu wenden, damals also an die gebildete Obersicht, um die vorherrschenden Machtstrukturen in der Gesellschaft zu bekräftigen; immerhin wurde es in der Landessprache verfasst und nicht auf Latein, wie es bei derartigen Texten im Ausland üblich war.