Inhalt der Handschriften 1250 –1300
AM 162 A θ fol. oder das Thetafragment der Egils saga ist das älteste erhaltene Fragment einer Isländersaga. |
Isländersagas und eddische Lieder in Büchern
Das erste schriftlichte Zeugnis einer Isländersaga ist ein Fragment der Egils saga, das wahrscheinlich um 1250 entstanden ist (AM 162 A þeta fol.). Nur wenige weitere Sagafragmente sind aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts überliefert. Neben der Egils saga sind Fragmente aus der Laxdæla saga und der Eyrbyggja saga (AM 162 D und E fol.) erhalten, während das älteste Fragment der Njáls Saga auf ca. 1300 datiert wird (AM 162 B beta og delta fol.). Ein Fragment aus der Saga des Heiligen Þorlák (AM 383 I 4to) wird auf die Mitte des Jahrhunderts datiert und die Þorlákstíðir auf Latein (Officium Sct. Thorlaci episcopi), die zu seinen Gedenktagen gesungen wurden, sind in der Handschrift AM 241 b V fol. aus dem 13. Jahrhundert erhalten. Das älteste Beispiel eines medizinisches Werks (AM 655 XXX 4to) stammt ebenfalls aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts.
Die Gattungen, die in der älteren Handschriften vorkommen, sind weiterhin enthalten, Geschichten von Heiligen, Aposteln und andere religiöse Inhalte, sowie Gesetzesparagraphen und Gesetzessammlungen, Königssagas und historische Schriften, entweder auf isländisch verfasst oder übersetzt. Nicht zuletzt wurde eine der bekanntesten Handschriften aus dem isländischen Mittelalter der Codex Regius (GKS 2365 4to), auch Liederedda genannt, wohl um 1260-80 von einem unbekannten Schreiber verfasst. Der Codex Regius enthält Lieder über nordische Götter und Helden, die traditionell in Götterlieder und Heldenlieder unterteilt werden. Der größte Teil der Lieder ist nur in dieser einen Handschrift überliefert.
Handschriftliche Zeugnisse bis zur zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts
Handschriften und Handschriftenfragmente von ca. 1150–1300 repräsentieren wahrscheinlich ein Bild der Arbeit von gut einhundert Schreibern. Es ist schwer einzuschätzen, wie groß die Gesamtzahl der in dieser Zeit entstandenen Handschriften ist, da heute nur noch wenige Bücher und Werke ganz oder in Teilen erhalten sind. Unter den wichtigsten Werken, die aus dieser frühen Zeit überliefert sind, befinden sich das Isländische Homilienbuch, der Elucidarius, die Dialoge Gregors des Großen, die Jarteinabók (Mirakelsammlung) des heiligen Þorlák und das Ágrip af Noregs konungasögum (Abriss der Geschichte der Könige Norwegens).
Aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts sind deutlich mehr Handschriften zu erwähnen, wie die Jómsvíkinga saga, die von den Königen Dänemarks und der Gründung der Wikingerburg Jómsborg an der Südküste der Ostsee handelt (AM 291 4to). Die Alexanders saga ist eine nordische Übersetzung des lateinischen Epos über Alexander den Großen, der Alexandreis, von ca. 1180 (AM 519 a 4to) und der älteste Textzeuge der Saga des Heiligen Olaf von Snorri Sturluson ist das Manuskript AM 75 a fol. Aus dieser Zeit sind auch die Morkinskinna (Das verrottete Pergament, Sammlung von Königsgeschichten; GKS 1009 fol.), der Codex Regius der Eddalieder und die Haupthandschriften zu der Gesetzgebung des Freistaats, die Codex Regius der Grágás (GKS 1157 fol.) und die Staðarhólsbók der Grágás (AM 334 fol.) erhalten. Diese enthält auch die Járnsíða, das erste Gesetzesbuchdes norwegischen Königs für die Isländer, das nur sehr zögerlich angenommen wurde und auch nur ein Jahrzehnt galt, von 1271–81. Die Járnsíða ist mit einer anderen und etwas jüngeren Handschrift geschrieben als der Teil der Grágás.
Wie entwickelt und verbreitet sich die Buchkultur? Die Handschriftenüberlieferung spiegelt in groben Zügen die Entwicklung und das Wachstum der Buchkultur wieder, die, zumindest was Handwerk und Manuskriptproduktion betrifft, ihren Höhepunkt im 14. Jahrhundert erreichte. Das Schreiben von Annalen begann im 12. und 13. Jahrhundert und ging Hand in Hand mit der Verschriftlichung der Geschichte. Übersetzungen und Geschichtsschreibung wurden im 13. Jahrhundert immer gebräuchlicher und Isländer schrieben immer mehr Werke, wie historische Schriften, Königs- oder Heiligengeschichten nordischer Persönlichkeiten in ihrer Muttersprache. Die kulturellen Strömungen Europas, gute Bildung und die finanzielle Situation der Oberschicht, sowie eine starke Erzähltradition, die aus einem reichen Geschichtenschatz schöpfte, sind die wichtigsten Faktoren, die zu dieser weltlichen Geschichtsschreibung, die im 12. und 13. Jahrhundert einsetzte, beitrugen. Der Inhalt dieser Geschichten, der heimischen wie der ausländischen, gibt zum Ausdruck, wie jene Schichten, die ihre Unterhaltung, ihr Geschichtsverständnis und ihre Lebensanschauungen in Büchern festhalten konnten, ihre Gegenwart, Vergangenheit und Verbindung zur Umwelt beurteilten.
Das bemerkenswerte 13. Jahrhundert
Bereits im 12. Jahrhundert und im weiteren Verlauf des 13. Jahrhunderts veränderte sich die isländische Gesellschaft, und zwei einflussreiche soziale Gruppen etablierten sich. Zum einen gab es die Großbauern, die in der Regel Priester waren oder eine Kirche besaßen und einen Bezirk dominierten, auf nationaler Ebene jedoch unbedeutend waren, zum anderen gab es einige wenige Godengeschlechter, die nach und nach über die meisten Godentümer im Lande verfügten und die Vormacht in der weltlichen Führung des Landes übernahmen. Diese Entwicklung störte das Mächtegleichgewicht, das die Grundlage des Freistaats – des Godensystems – war und führte dazu, dass es im Lande vermehrt zu Konflikten kam, bis schließlich ein kriegsähnlicher Zustand herrschte. Die Bevölkerung teilte sich in Gruppen und Allianzen wurden geformt, aber auch Vertragsbrüche und Verrat waren Teil dieser Zeit.
König und Kirche versuchen ihre Macht zu stärken
Zu dieser Zeit versuchte die Kirche noch stärker Kontrolle über ihre eigenen Belange zu erreichen und die Vorherrschaft über das Kircheneigentum aus den Händen der weltlichen Eigentümer zu gewinnen. Dieser Kampf zog sich mehr oder weniger über das ganze 13. Jahrhundert hin. Guðmund Arason, Bischof von Hólar, befand sich fast während seiner ganzen Amtszeit von 1203–37 in Streitigkeiten mit der weltlichen Elite. In Norwegen erlangte Håkon IV Håkonsson nach turbulenten Jahren die Macht und wollte auf Island Steuern erheben. Er suchte bei einflussreichen Isländern nach Unterstützung und da beide Bischofssitze 1238 nicht besetzt waren, engagierte er sich dafür, dass der Erzbischof norwegische Bischöfe einsetzte um seine Pläne auf Island durchzusetzen.
Ende des Freistaats
Nach den Konflikten der Sturlungenzeit, die ca. 1220 begann, auch wenn die Vorgeschichte weiter zurückreicht, ging der Freistaat unter und die meisten Isländer unterwarfen sich im Jahre 1262 König Håkon. Die Epoche ist nach den Nachkommen Hvamm-Sturlas benannt. Sturla war Vater des Geschichtsschreibers Snorri und seiner Brüder Sighvat und Þórð, der wiederum Vater Ólaf hvítaskálds und Sturla des Geschichtsschreibers war. Die Sturlungen besaßen Godentümer im Westen, aber als ihre Macht den Höhepunkt erreicht hatte auch im Norden und in den Westfjorden. Andere einflussreiche Geschlechter des 13. Jahrhunderts waren die Ásbirningar im Skagafjörður, die Haukdælir im Árnesþing, die Oddaverjar im Rangárþing, die Svínfellingar im Osten und die Vatnsfirðingar und Seldælir in den Westfjorden.
Gelehrsamkeit und Geschichtsschreibung im Zeitalter der Sturlungen
In der Umbruchszeit des 13. Jahrhunderts entstanden wichtige Handschriften und neue Literarische Gattungen. Snorri Sturluson verfasste und kompilierte sein Werk in jener Zeit: Die Edda, die Saga des Heiligen Olaf und die Heimskringla, auch die Egilssaga ist ihm zugeschrieben worden. Ólaf hvítaskáld ist wahrscheinlich der Verfasser der Knýtlinga saga (über die Dänenkönige) sowie des Dritten Grammatischen Abhandlung und nicht zuletzte verfasste Sturla Þórðarson die Saga von Håkon Håkonsson, sowie die Íslendinga saga, in der die Ereignisse der Sturlungenzeit von einem Zeitzeugen erzählt werden. In Norwegen fiel Sturla bei König Håkon in Ungnade, aber nachdem er die Huldar saga besser vorgetragen hatte als jemals zuvor ein anderer, wurde er wieder in Gnaden aufgenommen. Sturla schrieb die Hákonar saga nach dem Tod des Königs im Jahre 1263. Die verlorene Huldar saga war eine Vorzeitsaga.
Vorzeitliche und zeitgenössiche Geschichten von Isländern
Von den Isländersagas mit unbekannten Verfassern wurden die meisten wohl zwar auch in dieser Zeit verschriftlicht, aber sie thematisieren die Zeit der Landnahme bis zum Ende des 11. Jahrhunderts. Ungerechtigkeit und Streitigkeiten sind oft treibende Kräfte hinter dem Handlungsverlauf der Isländersagas, die von Ruhm und Ehre, Rache, Gegenrache und Lösung der Streitfragen erzählen. In den Sagas kommen unterschiedliche Standpunkte zur Sprache, eine Art Tauziehen zwischen alten und neuen Werten, das zu der Zeit stattfand, als die Sagas aufgeschrieben wurden. Sie verweisen vielleicht auf die verschiedenen Überzeugungen derjenigen, die die Verschriftlichung von Sagas veranlassten. Einige scheinen sich den alten Werten zu beugen, nach denen Ehre bedeutete, Familie, Freundschaften und Racheschulden zu respektieren, während andere die neueren Werte Vorbilder und Lösungen im Sinne christlicher Werte anpriesen. Veränderungen des Ansehens der einflussreichen Familien und ihr Verhältnis zur Königsmacht kann wahrscheinlich auch über den Gebrauch der Skaldendichtung interpretiert werden, jener alten höfischen Dichtungstradition, die in manchen Sagas häufiger auftritt als in anderen und in einigen wiederum gar nicht zu finden ist.
Über einige bedeutende Persönlichekeiten des 12. und 13. Jahrhunderts wurden zeitgenössische Sagas verfasst, die in den Jahren 1117–1264 spielen, von denen aber nicht bekannt ist, wer sie verfasst hat. Die meisten dieser Geschichten sind nur als Teile der Kompilation Sturlunga saga gemeinsam mit der Íslendinga saga Sturlas überliefert, die den Hauptteil der Erzählungen bildet. Þórður Narfason, Gesetzesmann (lögmaður) in Skarð á Skarðsströnd (gest. 1308) gilt als derjenige, der Sturlungasaga um 1300 kompilierte. Die Haupthandschriften der Sturlunga saga, die Króksfjarðarbók und die Reykjafjarðarbók (AM 122 a und b fol.), stammen aus dem 14. Jahrhundert.
Das Höfische erreicht Island
Neue Literaturströmungen kamen über Norwegen nach Island, da immer noch eine starke Verbindung zwischen den beiden Ländern bestand. König Håkon arbeitete daran, die Kultiviertheit seines Hofes auszubauen und ließ Rittersagas aus französischen Verserzählungen (lais) und Chansons de geste (von lat. gesta "Heldentaten") in nordische Prosa übersetzen. Es wurden auch Geschichten aus dem Lateinischen oder Deutschen übersetzt, wie die Bretasögur und die Alexanders saga, die Teil der mittelalterlichen (Pseudo-) Geschichtsschreibung waren. Die Þiðreks saga af Bern (Saga von Dietrich von Bern) wurde wahrscheinlich aus mittelalterlichen deutschen Versen übersetzt, die inzwischen jedoch verloren gegangen sind. Die Rittersagas erzählen von entfernten Gegenden und beschreiben die Liebe vornehmer Herrschaften und das Leben am Hofe. Sie wurden sehr beliebt und die Isländer begannen in der Folge ihre eigenen Rittersagas zu schreiben, die allerdings eher mit den Vorzeitsagas vergleichbar sind.
Übersetzungen und Buchherstellung in Klöstern
Die Kirche war von Beginn an die treibende Kraft für das Übersetzen von religiösen und gelehrten Schriftenzur Nutzung in Messe und Unterricht. Unter ihrer Ägide begann die Geschichtsschreibung im 12. Jahrhundert mit der Veraldarsaga, der Hungurvaka und der Niederschrift isländischer und nordischer Heiligenlegenden. Das Schreiben und auch die Buchherstellung fand in den Kirchen, Bischofssitzen oder Klöstern statt, auch die meisten namentlich erwähnten Übersetzer oder Verfasser isländischer Werke aus dem Mittelalter sind Geistliche oder Mönche. Gemessen an der Gesamtüberlieferung sind es jedoch nur wenige namentlich bekannte Schreiber und Verfasser, der größte Teil der Werke ist anonym überliefert oder wurde von unbekannten Übersetzern bearbeitet.
Neun Klöster waren während der katholischen Zeit auf Island aktiv, undes wird von weiteren berichtet, die entweder nur kurz existierten oder über die nur wenig bekannt ist. Es gab zwei Klosterorden im Land: Im Umkreis des Bischofssitzes Hólar gab es vor allem Benediktinerklöster, während im Bezirk Skálholt eher Klöster des Augustinerordens verbreitet waren. Franziskaner oder Dominikaner konnten auf Island nicht Fuß fassen, trotzdem findet man in alten Texten Einflüsse von ihnen wieder.
Bistum Hólar | Bistum Skálholt |
Benediktinerorden | Augustinerorden |
1 Þingeyrar 1133 | 3 Þykkvabær 1168 |
2 Munkaþverá 1155 | 4 Helgafell (Flatey) 1172 |
7 Reynisstaður 1295 (Nonnen) | 6 Viðey 1226 |
9 Skriða 1493 | |
Augustinerorden | Benediktinerorden |
8 Möðruvellir 1296 | 5 Kirkjubær á Síðu 1186 (Nonnen) |
Im 12. Jahrhundert waren die bedeutendsten Stätten der Gelehrsamkeit im Süden Haukadalur und Oddi, Großirchensitze in Besitz von Godengeschlechter. Die wichtigsten Stätten der Gelehrsamkeit im Norden waren die Benediktinerklöster in Þingeyrar und Munkaþverá. Im 13. Jahrhundert wurden Übersetzungen oft von Laien vorgenommen, einige sind jedoch auch von namentlich bekannten Mönchen verfasst. An den Bischofssitzen wurde zweifelsohne auch an der Buchproduktion gearbeitet, aber sehr wenige erhaltene Handschriften können mit Gewissheit diesen Stätten zugeordnet werden. Demgegenüber haben unterschiedliche Wissenschaftler verschiedene erhaltene Handschriften und Handschriftengruppen der Buchproduktion der Klöster des Landes zuordnen können, besonders Þingeyrar, Helgafell, Munkaþverá, Möðruvellir und wahrscheinlich den Nonnen in Reynistaður.