Das Lesen von Handschriften
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Alte Texte auf Pergament
Das Isländische hat sich über die Jahrhunderte hinweg nicht so stark verändert wie viele andere Sprachen. Für Isländer ist es daher wesentlich einfacher, Altisländisch zu lesen, als für Englänger Altenglisch. Dennoch hat es einige Veränderungen in der Schrift gegeben, die man kennen sollte, wenn man flüssig Altisländisch lesen möchte.
Beim Lesen einer alten Handschrift, ist es wichtig zu wissen, aus welcher Zeit sie stammt, denn das Schriftbild und die Rechtschreibung sind von Jahrhundert zu Jahrhundert verschieden. Außerdem gibt es einige allgemeine Punkte, die man im Kopf haben sollte, bevor es ans Lesen geht.
Einige Buchstaben sehen anders aus, als wir es aus der heutigen Schrift gewohnt sind. Das s hat z.B. sehr oft eine Form, die man Schaft-s (Bild 1) nennt und ähnelt einem gedruckten f ohne Querstrich. Das f in Handschriften wiederum unterscheidet sich deutlich vom gedruckten f, es reicht z.B. bis unter die Linie und hat zwei Querstriche oder Querbögen, die auf derselben Höhe wie die kleinen Buchstaben innerhalb der Linie liegen (Bild 1).
1. mynd |
2. mynd |
3. mynd |
4. mynd |
Hier steht ein Schaft-s am Anfang des Wortes. Darauf folgt ein i, das für ein j verwendet wird. Der vorletzte Buchstabe ist ein f. |
Das geläufigste Zeichen für die Konjunktion ok („und”). |
Diese Kontraktion findet man häufig für die Genitivform hans („sein”). Dass es der Genitiv von hann ist, sieht man am s. |
Dies ist die Abkürzung für die Dativform mönnum („(den) Männern”), zwei m mit einem Strich darüber. |
Abkürzungen: Kontraktionen, Suspensionen und Spezialzeichen
Um mittelalterliche Handschriften flüssig lesen zu können, muss man sich zuerst mit dem System von Abkürzungen, Kontraktionen (Zusammenziehungen), Suspensionen (Auslassungen) und Spezialzeichen vertraut machen, das Schreiber verwendeten, um Pergament zu sparen und das Schreiben zu beschleunigen. Welche Spezialzeichen verwendet wurden, hing vom Schreiber und vom Zeitraum ab. Bestimmte Zeichen fanden jedoch häufig Anwendung, u.a. das ok-Zeichen (Bild 2) und die Zeichen für -er und -ar.
Einige Abkürzungen wurden ebenfalls recht häufig verwendet. Buchstaben mit einem Querstrich hatten oft eine feste Bedeutung: Ein duchgestrichenes h wurde für hann („er“) verwendet, hs für hans („sein“, Bild 3), ein durchgestrichenes k für konungur („König“) und mm mit einem Strich darüber stand für mönnum („Männern“, Bild 4). Auch andere Kontraktionen und Suspensionen waren durchaus gängig: m; stand für með oder meður („mit“), l'di stand für landi („(dem) Land“) und m'lti für mælti („(er/sie) sprach“), um nur einige zu nennen. In manchen Handschriften zeigen sich norwegische Einflüsse: Dort wird z.B. nach einem g ein h eingefügt wie in noreghr statt noregr („Norwegen“) oder sagha statt saga („Geschichte“). Ein weiterer norwegischer Zug ist die Schreibung sunr für sonr („Sohn“) Wenn heute beim Abschreiben eines Manuskripts die Abkürzungen ausgeschrieben werden, spricht man vom „Auflösen“. Aufgelöste Abkürzungen werden dann oft kursiv geschrieben, um sie vom Rest des Textes abzuheben.
Wichtig beim Lesen von alten Handschriften ist es also zum einen, sich mit dem fremdartigen Schriftbild und den Buchstabenformen vertraut zu machen. Darüber hinaus sollte man die wichtigsten Abkürzungen und Spezialzeichen kennen und sich bewusst sein, dass es früher keine feste Orthographie gab und diese je nach Zeit und Person variierte.
Spezialzeichen und Kontraktionen
Kurzformen und Abkürzungen
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