Kirchen und Großbauern
Kirche in Keldur im Rangárþing, ein alter Großbauernhof in Besitz der Oddaverjar. Dort starb der Grossbauer Jón Loftsson 1197, wodurch seine Pläne, dort ein Kloster zu gründen, scheiterten. |
Gebildete Großbauern
Ab etwa 1100 bestand auf Island kein Mangel an Priestern mehr, denn es hatte sich der Brauch herausgebildet, den Söhnen von Großbauern eine Priesterausbildung zuteil werden zu lassen und sie zu weihen, unabhängig davon, ob sie beabsichtigten, die kirchliche Laufbahn einzuschlagen oder nicht. Eine sich mit der Einführung der Schriftkultur in weitere Lebensbereiche steigernde Nachfrage nach geschriebenen Texten trug möglicherweise ebenfalls dazu bei, dass immer mehr Menschen die Buchkunst erlernten. Im Laufe des 12. Jahrhunderts stieg die Zahl der Gebildeten auf Island, die entweder in Schulen oder Klöstern im Ausland oder bei Gelehrten im Land gelernt hatten, in Einzel- oder Gruppenunterricht. Um 1200 konnten offenbar die meisten der wohlhabenderen Bauern lesen und schreiben. Darüber hinaus schien es genügend Priester und Diakone zu geben, um einen einheimischen Klerus zu bilden. Damit verminderte sich die Notwendigkeit, junge Männer zum Studium ins Ausland zu schicken, Gelehrte konnten die Ausbildung zu Hause vermitteln.
Die Bildung der mächtigen Bauern im 12. Jahrhundert
In der Kristnisaga (um 1200), findet sich ein Abschnitt über die Bildung der Großbauern zur Zeit des Bischofs Gizur, der deutlich macht, wie eng weltliche Großbauernmacht und die Führung der Kirche zu jener Zeit miteinander verflochten waren: "Damals waren die meisten angesehenen Männer gelehrt und zu Priestern geweiht, obwohl sie gleichzeitig Großbauern waren, wie etwa Hall Teitsson in Haukadalur und Sæmund der Gelehrte, Magnús Þórðarson in Reykjaholt, Símon Jörundarson in Bær, Guðmund, der Sohn von Brand in Hjarðarholt, Ari der Gelehrte, Ingimund Einarsson in Hólar, Ketill Þorsteinsson von Möðruvellir und Ketill Guðmundsson, der Priester Jón Þorvarðsson und viele andere, die hiernicht genannt sind."
Auf der rechten Seite (5r) ist eine Liste über Priester aus den führenden Familien Islands, die Ari der Gelehrte erstellt haben soll. |
Zu Priestern geweihte Goden
Von diesen 10 Männern, die die Priesterausbildung empfangen hatten, waren sieben Goden. Sie übten in der Gesellschaft die Rolle des weltlichen Machthabers aus. In GKS 1812 III 4to (etwa zwischen 1225 und 1250), findet sich ein Verzeichnis isländischer Priester aus angesehenen Familien, angeblich verfasst von Ari Þorgilsson dem Gelehrten im Jahre 1143. Dort sind 40 Namen von Priestern aus Obersichtsfamilien aufgelistet, zehn aus jedem Landesviertel. 13 von ihnen waren zusätzlich Goden. Von den ersten acht Bischöfen des Landes stammten sechs aus einer Godenfamilie. Vier von ihnen hatten vermutlich das Godentum ihrer Vorväter übernommen, so dass sie eine weltliche und kirchliche Führungsposition zugleich innehatten.
Viele bekannte Großkirchen scheinen dadurch entstanden zu sein, dass Goden ihren Stammsitz der Kirche unterstellten, in der Absicht, ihren zu Priestern geweihten Söhnen Kirchenland und das Godentum gleichzeitig zu vererben. Auf diese Weise kamen der Familienbesitz, die weltliche und die geistliche Macht in deren Händen zusammen und legten den Grundstein für die Buchkultur und die Macht mancher der bedeutendsten Obersichtsfamilien des Landes im 12. und 13. Jahrhundert. Die Verschriftlichung von Königssagas, Isländersagas und Gegenwartssagas umfasst genau diesen Zeitraum.
Weltliche und geistliche Macht
In Europa waren Erzbischöfe, Bischöfe und Äbte Vasallen der Könige und diesen unterstellt. Im 11. Jahrhundert kämpfte die Kirche für ihre Unabhängigkeit und für die Trennung der kirchlichen von der weltlichen Macht. Sie forderte, über den Kirchenbesitz frei zu verfügen, seine Würdenträger selbst zu ernennen, eigenmächtig kirchliche Dinge betreffende Gesetze zu erlassen und ein kirchliches Gericht abhalten zu können. Ab der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts wurde diese Kirchenpolitik auch am Erzbischofssitz in Trondheim betrieben, in Norwegen war um 1200 das System der Bauern- oder Eigenkirche beinahe verschwunden.
Im Sommer 1190 schickte der Erzbischof Eiríkur von Trondheim (von 1188 bis 1213) den Bischöfen Þorlák und Brand, Jón Loftsson in Oddi, einigen Häuptlingen und dem Volk Islands einen Brief. In diesem untersagte er geweihten Männern, Subdiakonen und höheren Rängen, sich mit Dingen zu befassten, die sie im Wettstreit oder gar mit Waffen durchsetzen müssten. Zusätzlich verbot er Bischöfen, Goden zu weihen, mit der Begründung, weltliche Tätigkeiten vertrügen sich nicht mit Pflicht und Dienst eines Priesters gegenüber Gott. Das Verbot zielte darauf ab, Kirche und weltliche Macht auf Island voneinander zu trennen. Anscheinend wurde dieser Anordnung nachgekommen, auch wenn die Eigenkirche noch nahezu ein Jahrhundert lang Bestand haben sollte.
In Haithabu. |
Kirchliches Machtstreben auf Island – staðamál (Streit um die „Staðir“)
Der heilige Þorlák Þórhallsson (1133-1193) war der erste isländische Bischof, der die Kontrolle über die sog. „Staðir“, Kirchenländereien, auf denen Großbauern oder Bauern lebten und diese als ihr Eigentum führten, einforderte. Viele dieser Bauern hatten auf ihrem Grund Kirchen errichtet und der Kirche dann das Land oder Teile davon vermacht, oft allerdings unter der Bedingung, dass sie und ihre Nachkommen immer dort würden leben dürfen. Þorlák musste sich des starken Widerstands Jóns Loftsons aus Oddi erwehren und erreichte nur einen sehr begrenzten Erfolg (die sog. „ältere Staðir-Angelegenheit“). Von diesen Auseinandersetzungen wird im Oddaverjaþáttur in den B- und C-Versionen der Þorlákssaga berichtet, der Lebensgeschichte des ersten einheimischen Bischofs, den die Isländer in die Riege der Heiligen aufnahmen (der erst im 1984 offiziell von dem Papst als Heiliger aufgenommen wurde).
Die Macht der Kirche entwickelte sich in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, in der Zeit der Bischöfe Guðmund Arasons des Guten, Páll Jónssons und Magnús Gizurssons langsam weiter. Als Árni Þorláksson (1237-1298) 1269 Bischof von Skálholt wurde, nahm er den Streit um die „Staðir“ wieder auf und befand sich jahrelang in Auseinandersetzungen mit den mächtigen Bauern. Zu dieser Zeit war Island gerade ein Teil des norwegischen Königreiches geworden und Árni, ein guter Freund des Königs, war bereits während der Zeit des Umbruchs, die unter anderem eine neue Verfassung und Gesetzgebung mit sich brachte, Bischof gewesen. Davon erzählt seine Saga, die Lebensgeschichte und kirchenpolitische Landesgeschichte zugleich darstellt.
Könige und kirchliche Macht
Der Streit um die „Staðir“ wurde der Entscheidung des Königs unterstellt, und mit dem Abkommenvon Ögvaldsnes in Norwegen 1297 legte man fest, dass die Kirche die Herrschaft über jenen Boden erhielt, den sie zur Hälfte oder zu einem noch größeren Teil besaß. Dies kam einem beinahe vollständigen Triumph der nach Macht strebenden Kirche gleich. Die isländische Gesellschaft hatte sich damit der traditionellen Lehensgesellschaft des Mittelalters angenähert, nachdem Freistaat und Eigenkirche, eine Kirche im Besitz eines Mitglieds der weltlichen Oberschicht, untergegangen waren. In Folge dessen verloren die alten Herrschergeschlechter im 14. Jahrhundert ihre Macht. An deren Stelle stiegen andere auf, die ihre Macht und ihren Reichtum eher auf Fischfang und Fischhandel als auf großen Landbesitz aufbauten. Ihnen war es wichtig, die Kultur der Oberschicht und des Adels kennenzulernen und an ihr teilzuhaben -- die Themen der Literatur richteten sich daher auch nach der veränderten Gesellschaft und den neuen Machthabern aus.