Der Schauplatz
Am Vorabend der Besiedlung Islands
Als Island als letztes Land in Europa besiedelt wurde, brachten die Siedler ihre Gesetze, ihre Bräuche, ihren Glauben, ihre Traditionen und Rituale mit. Sie wussten von ihrer Herkunft und Abstammung und verfügten über Wissen in Form von Liedern und Geschichten, die durch mündliche Überlieferung von Generation zu Generation bewahrt wurden. Zu dieser Zeit besaßen die kontinentalgermanischen und skandinavischen Völker die gleichen Schriftzeichen, die Runen, die vielerorts in Skandinavien, auf den Britischen Inseln und in Mitteleuropa entdeckt wurden. Allerdings wurden nur wenige Runenritzungen aus dem früheren Island gefunden.
Voraussetzungen der Wikingerfahrten und der Landnahme
Die Besiedlung Islands begann mit den Wikingerfahrten der Skandinavier. Mehrere Gründe können als Voraussetzung für die weiten Seereisen genannt werden, die sowohl über Meere als auch über schiffbare Flüsse führten. Man unternahm Handels- oder Raubzüge; später wurden auch neue Gebiete erschlossen und besiedelt. Fahrtüchtige Schiffe und die Weiterentwicklung der Segeltechnik waren Schlüsselelemente des Aufstiegs der skandinavischen Seefahrt. Das schnelle Langschiff eignete sich gut für die Kriegsführung und zum Segeln auf Flüssen und in niedrigen Gewässern; der Knörr wurde zum Transport und Segeln auf hoher See genutzt.
Seit dem Ende des 7. Jahrhunderts blühte der Handel zwischen den Ländern Nordwesteuropas. Im Zuge dessen entstanden Handelsplätze an der Nordsee und die Nachfrage nach Tierhäuten und Fellen aus den nördlichen Ländern wuchs. Ab der 2. Hälfte des 8. Jahrhunderts unternahmen die Skandinavier immer mehr Seefahrten in ihre europäischen Nachbarländer und begannen, mit diesen Handel zu treiben. Gleichzeitig förderte das im Norden vorherrschende Gesellschaftsideal zweifellos den Wunsch junger Männer, fern von der Heimat Erfahrungen zu sammeln und Vermögen und Ruhm zu erwerben. Auch das Ansehen der Krieger untereinander stellte einen Anreiz dar. In der heidnischen Vorstellung galt der Tod durch die Waffe als ein angeseheneres Schicksal als der Tod auf dem Krankenbett. Erzählungen der altnordischen Mythologie, die über die Aufnahme der im Kampf gefallenen Krieger in Walhall zu immer währender Kämpfen und Festgelagen berichten, verdeutlichen das. Auf Handels- und Wikingerfahrten hatten die Skandinavier die besten Möglichkeiten, Ehre und Reichtum zu erlangen.
Skandinavische Seefahrer reisten weit. Die Karte zeigt ihre Segelwege und Siedlungen während der Wikingerzeit. Aus Wikipedia, mit Einverständnis von Wikimedia Commons: GNU Free Documantation Licence. |
Altnordische Siedlungen und Landnahme im Westen
In der Wikingerzeit legten die Skandinavier sehr weite Strecken zurück. Vom Weißen Meer im Norden (Bjarmaland) bis nach Nordafrika im Süden, von Russland (Schwarzes Meer und Kaspisches Meer) im Osten bis nach Grönland und Nordamerika (Vinland) im Westen. Die Expansion im Westen begann um 800, als die ersten Siedlungen auf den Shetland- und Orkneyinseln gegründet wurden, wo zuvor die Kelten ansässig waren.Die Färöer wurden kurz darauf besiedelt. Einige Jahrzehnte später ließen sich die Skandinavier auf den Hebriden und der Isle of Man nieder, wo es auch schon keltische Siedlungen gab. Gegen Ende des 9. Jahrhunderts begannen die Skandinavier von den Shetlands und Orkneys und von Westnorwegen nach Caithness im Norden Schottlands auszuwandern. Auch diese Siedlungen wurden inmitten keltisch besiedelten Gebiets erbaut, das jedoch unter der Herrschaft der Orkneyjarle stand. Der Beginn der Besiedlung Islands wird um das Jahr 870 datiert, die skandinavische Besiedlung Grönlands begann gegen Ende des 10. Jahrhunderts und um die Jahrtausendwende wurden Helluland, Markland und Vínland in Nordamerika entdeckt. Die Skandinavier konnten sich dort jedoch nicht dauerhaft niederlassen.
Verstärkte Beziehung zum christlichen Europa
Nordische Seefahrer, die im 9. und 10. Jahrhundert die christlichen Länder Westeuropas überfielen, ließen sich dort auch nieder und kamen so mit dem christlichen Glauben in Berührung. Nach einiger Zeit nahmen die Siedler das Christentum an und es wurden Klöster und Kathedralschulen gegründet, die gleichen Institutionen, die früher Zielscheibe der Angriffe der Wikinger waren. Nachdem die christliche Schreibkultur ihren Einzug gehalten hatte, begannen die gelehrten Skandinavier Texte in (lateinischen) Buchstaben auf Pergament zu schreiben. Die Ausbreitung dieser Schrifttechnik verlief auf Island somit etwas anders als im restlichen Europa.
Die Annahme des Christentums auf Island im Jahre 1000 (oder 999) bedeutete einen Wendepunkt im Kultur- und Bildungsleben, genauso wie in den anderen nordischen Ländern, die ungefähr zur gleichen Zeit christianisiert wurden. Nachdem die Annahme des christlichen Glaubens auf dem Althing, der jährlichen Generalversammlung für das ganze Land, beschlossen worden war, galt Island nun formell als christlich. Allerdings ist anzunehmen, dass sich die meisten Isländer den christlichen Glauben damals erst noch aneignen mussten, dessen Ideologie, Weltbild, Moralvorstellungen und Menschenbild. Diese mentale Veränderung dauerte wohl einige Zeit. Der Glaubenswechsel ist kaum auf einen Schlag geschehen. Viel eher konnte der christliche Glaube erst nach und nach in den Vorstellungen der Menschen Wurzeln schlagen und die Kirche sich allmählich durch ihre Arbeit und durch die Mission etablieren.
Die christliche Buchkultur und Gelehrsamkeit
Das Christentum war mit Hilfe des geschriebenen Wortes verbreitet und verkündet worden; die Heilige Schrift war das Buch aller Bücher. Schon seit langem war es den Menschen gelungen, Worte und Gedanken, u.a. über Wissenschaft, Kunst und alle Arten von Erkenntnissen auf haltbarem Material zu sammeln, sodass ihr Wissen nach dem Verhallen der Stimme oder durch den Verlust der Erinnerungen nicht sofort verloren ging. Diese Methode nahm die christliche Kirche in ihre Dienste und so hatte die Buchkunst ihren Anteil an der Verbreitung des christlichen Glaubens in Europa, lange bevor die erste isländische Kirche erbaut wurde. Im Mittelalter hatten die Kirchen und Schulen in Westeuropa eine gemeinsame Sprache. Die Bibel und die meisten gelehrte Schriften wurden auf Latein geschrieben, darunter die Werke der Kirchenväter. Latein, das im Mittelalter auch als ‚Buchsprache’ bezeichnet wurde, musste man gut beherrschen. Neben den passiven Kenntnissen des Lateinischen, die das Lesen und Übersetzen ermöglichten, waren auch aktive Kenntnisse vonnöten, um neue Texte zu schreiben.