Brand in Kopenhagen und die Arnamagnäanische Sammlung
Straßenecke in Kopenhagen, an der das Haus von Árni und Mette stand. Foto: Davíð Kristinsson. |
An einem Mittwochabend, dem 20. Oktober 1728, brach in Kopenhagen ein Brand aus, der bis zum Samstag, dem 23. Oktober, wütete und mehr als ein Viertel der Stadt zerstörte, darunter fast die Hälfte der Häuser der ältesten Teile der Stadt. Unter diesen 1600-1700 Häusern, die den Flammen zu Opfer fielen, befand sich auch das Haus Árni Magnússons und seiner Frau Mette in der Store Kannikestræde und die Universitätsbibliothek in der Fiolstræde. In beiden Häusern waren isländische Handschriften untergebracht. Árni rechnete nicht damit, dass das Feuer sein Haus erreichen würde und kam so zu spät, um alle Bücher retten zu können. Heute geht man davon aus dass die meisten seiner Pergamenthandschriften gerettet werden konnten, während fast alle Papierhandschriften und die gedruckten Bücher verbrannten, zusammen mit vielen Notizen, die er sich zu den Handschriften gemacht hatte.
Die Schilderung des Isländers Jón Ólafsson von Grunnavík, der im Alter von zwei und zwanzig Jahren ein Zeuge der Feuersbrunst wurde, ist der älteste von drei Zeitzeugenberichten über den Brand. Sie trägt den Titel Relatio af Kaupinhafnarbrunanum und beginnt mit einem Bericht über den Ausbruch des Feuers.
Ausbruch des Feuers
Das Feuer brach im Eckhaus der Lille Sankt Clemens Stræde und Volden Richtung Vesterport aus, nicht weit von der Stelle entfernt, an der sich heute das Tivoli befindet. Der Kaufmann in dem Haus hatte Kerzen gegossen und später am Tage kletterten Kinder mit brennenden Kerzen auf den Dachboden um etwas zu suchen, dass sie tagsüber dort verloren hatten. Eine Kerze fiel auf etwas Heu oder Sägespäne, die dort lagen, und Feuer flammte auf. Der Wind kam aus Südwest und das Feuer griff schnell auf die Nachbarhäuserüber und verbreitete sich in bedrohlichem Tempo in nordöstlicher Richtung in der Stadt, sodass die Flammen alsbald die Häuser der Innenstadt erreichten.
Dies alles geschah im Laufe des Abends. Aufgrund des stürmischen Windes, der engen Gassen und der Menschenmenge war es schwierig, die Feuerwehrwagen zu bewegen und die Wasserpumpen einzurichten. Die Menschen flüchteten aus Angst auf die Straße und versuchten ihr Hab und Gut in Sicherheit zu bringen. Es herrschte ein großes Durcheinander, der Himmel war schwarz von Rauch und rotglühend von Feuerwolken. Hinzu kam, dass Wasserknappheit herrschte und die Feuerwehr am selben Tag bei einer Übung war, nach der sich die Männer betranken und nicht mehr einsatzbereit waren. Die Leiter der Feuerwehrmannschaften bekamen die Lage nicht unter Kontrolle und noch vor dem Morgen war der Polizeimeister wegen der Geschehnisse der Nacht so niedergeschlagen, dass er nach Hause fuhr und sich betrank. Zu allem Überfluss brach in einer Brauereiwerkstatt in der Nørregade im Norden der Stadt ein weiteres Feuer aus.
Árnis Haus brennt
Am zweiten Tag erreichte das Feuer die Trinitatiskirche und das Universitätsgelände. Als Árni am Donnerstagmorgen erfuhr, dass das Feuer bis in den Turm der Vor Frue Kirke vorgedrungen war, die nur einige hundert Meter von seinem Wohnhaus entfernt stand, wurde ihm klar, dass seine Handschriftensammlung in Gefahr sei. Jón von Grunnavík und Finnur Jónsson, der später Bischofwurde, halfen ihm, zusammen mit seinen Bediensteten. Gemeinsam schafften sie es, vier bis fünf Wagenladungen Inventar, Bücher und Akten zu retten, bevor die Flammen sie ereilten. Als das Feuer das Haus erreichte und es nicht mehr möglich war etwas zu bergen, sagte Árni: "Dort sind jene Bücher, die es niemals und nirgends mehr geben wird, bis zum Tag des Jüngsten Gerichts."
Am dritten Tag, am Freitag, gelang es endlich, das Feuer in organisierter Weise zu bekämpfen, und am Samstag konnten schließlich die letzten Flammen gelöscht werden. Da standen die Stadtbewohner und blickten betroffen auf ihre Stadt, die in rauchenden Trümmern lag. Mindestens 20 % von ihnen hatten durch den Brand ihr Zuhause verloren.
Das Schicksal der isländischen Handschriften
Unter den isländischen Pergamenthandschriften, die in der Universitätsbibliothek verbrannten, war die Kringla, eine der Haupthandschriften der Heimskringla, vermutlich mit der selben Hand geschrieben wie die Staðarhólsbók der Grágás (AM 334 fol. von ca. 1260-81), die Knýtlingasaga (die Geschichte der Dänenkönige)aus der Zeit um 1300, Gullinskinna,eine Handschrift mit Königssagas vom Ende des 14. Jahrhunderts, zwei Handschriften der Sverris saga und ein Fragment der Orkneyinga saga. Die Bibliothek des Gelehrten Peder Resen, die er der Universität vermacht hatte, beinhaltete unter anderem 15 Handschriften aus dem Mittelalter, die alle, abgesehen von einer Pergamenthandschrift, die Árni Magnússon ausgeliehen hatte, verbrannt waren. Dies war AM 399 4to, die Resensbók, die Mitte des 14. Jahrhunderts verfasst wurde und Fassung A der Guðmundar saga enthält.
Von der kostbaren Bibliothek Árni Magnússons vermutet man, dass gut 400 Bücher gerettet werden konnten, darunter die meisten der ältesten und wertvollsten Pergamenthandschriften. Zwölf verbrannten jedoch, vor allem Handschriften der Maríu saga und der Karlamagnús saga, der Mariengeschichte und der Saga über Karl den Großen, sowie unzählige Handschriftenfragmente. Fast die gesamte Sammlung gedruckter Bücher Árnis wurde zerstört und viele Papierhandschriften mit Abschriften älterer Texte, sowie Chroniken, Allthingsbücher und Gesangsbücher aus dem 17. Jahrhundert. Árnis Anmerkungen und andere Unterlagen, wie etwa Entwürfe von Lebensläufen einiger Gelehrter, erlitten das gleiche Schicksal. Árni bemerkte selber, dass der Schaden umso größer wäre, da er kein vollständiges Register seiner Sammlung angelegt hatte und sich somit keinen Überblick darüber verschaffen konnte.
Vor Frue Kirke gegenüber des Universitätsgebäudes aus dem Jahr 1836. Árni und Mette liegen dort im Chor begraben. Foto: Davíð Kristinsson. |
Die Zerstörung durch das Feuer und der Lebensabend
Der Brand lastete schwer auf Árni und hinterließ einen nicht wiedergutzumachenden Schaden an seinem Lebenswerk. In einem seiner Briefe schreibt er: "Es ist alles zerstört, so dass es Kummer bereitet, daran auch nur zu denken." Der folgende Winter war kalt und es herrschte Mangel an Wohnraum und Nahrung in der Stadt. Árni und seine Frau mussten innerhalb eines Jahres dreimal umziehen. Er erkrankte gut ein Jahr nach dem Brand und starb am 7. Januar 1730 im Alter von 66 Jahren. Seine Frau Mette starb im September des selben Jahres im Alter von 85 Jahren. Sie wurde an der Seite ihres Mannes begraben, an der Nordseite des Chors der Vor Frue Kirke, die zu dieser Zeit noch eine offene Brandruine war. Árni unterzeichnete das Testament des Ehepaares einen Tag vor seinem Tode. Es enthielt die Verfügung über ihren Besitz und die Handschriftensammlung.
Das Testament von Árni und Mette – Die Arnamagnäanische Sammlung
Gemäß dem Testament sollten alle Handschriften und gedruckten Bücher Árnis in den Besitz der Universität übergehen. Aus dem Vermögen des Ehepaars wurde ein Fonds gegründet, mit dessen Zinsen ein oder zwei isländische Studenten in ihrer Arbeit mit der Handschriftensammlung gefördert werden sollten. Mit dem Geld sollten sie ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Zwei Betreuer sollten bestimmt werden, die sich um die Sammlung und das übrige Eigentum kümmern sollten, um die Vergütung der Sekretäre und Bibliothekare zu bezahlen und Bücher herauszugeben. Im Jahr 1772 wurde die Arnamagnäanische Kommission (Den Arnamagnæanske Kommission) gegründet, die seitdem die Aufsicht über den Nachlass Árnis und Mettes innehat. Ab 1936, als langsam die Frage nach dem Eigentumsrecht der Handschriften aufkam, beriefen die Isländer einen besonderen Vertreter in die Kommission. 1986 wurde dies wieder geändert und von da an setzte sie sich wieder ausschließlich aus Dänen zusammen.
Der Rundetårn in Kopenhagen steht an der Trinitatiskirche. Die Bibliothek Árnis war gut 130 Jahre nach seinem Tod, von 1730 bis 1861, dort im Dachgeschoss untergebracht. Foto: Davíð Kristinsson. |
Die Erforschung der isländischen Kulturgeschichte
Die große Sammlung Árnis war Grundlage vielfältiger Untersuchungen zur isländischen Sprache und Sprachgeschichte, zur Geschichte Islands und der alten Literatur, die für mehr als 200 Jahre der wichtigste Bestandteil der isländischen Kultur war. Auch weiterhin studierten Isländer an der Universität in Kopenhagen, die die Handschriften oft besser lesen konnten als die meisten Dänen. Auf Initiative der Stiftung Árnis bekamen sie die Möglichkeit, die Handschriften zu erforschen und ihre Ergebnisse herauszugeben. Obwohl sich das Institut in Kopenhagen befand, arbeiteten viele Isländer dort, so zum Beispiel Jón aus Grunnavík, Eggert Ólafsson, Grím Thorkelín und der Althings-Präsident Jón Sigurðsson, nicht zu vergessen Gelehrte aus dem übrigen Skandinavien und anderen Ländern Europas.
Die Arnamagnäanische Sammlung
Die Handschriften der Arnamagnäanischen Sammlung konnten nicht sofort in einem angemessenen Gebäude untergebracht werden. Die Bücher befanden sich die meiste Zeit in verschiedenen, meist engen Gebäuden, oft ohne ausreichende Möglichkeiten zur Forschung. Anfangs kümmerte sich nur ein Sekretär um die Sammlung, 1883 aber wurde Kristian Kålund als erster Bibliothekar angestellt und übte dieses Amt aus, bis er 1919 starb. Eine seiner bedeutendsten Leistungen war es, ein Verzeichnis über alle Handschriften und Handschriftenfragmente der Sammlung anzulegen, und später auch einen Katalog über die isländischen und norwegischen Handschriften der königlichen Bibliothek und der Universitätsbibliothek zu erstellen. Darin beschrieb er kurz Aussehen und Inhalt einer jeden Handschrift. Darüber hinaus fasste er die Geschichte der Handschriften zusammen und verwies auf Árnis Anmerkungen, so sie noch vorhanden waren. Kålund war ein eifriger Wissenschaftler und gab unter anderem die Sturlunga saga, enzyklopädische Texte, ein medizinisches Buch, einige Isländersagas und Schriften und Artikel zu diversen Themen heraus, unter anderem zu nordischer Handschriftenkunde, zu Schauplätzen und Gegebenheiten der Sagas, zur Dichtung in der Zeit um 1500, zur Sammlung und Überlieferung von Handschriften und zur Geschichte der Arnamagnäanischen Sammlung - um nur einiges zu nennen.
Das Kulturerbe im fremden Land
Viele Isländer, besonders in der Zeit der Unabhängigkeitsbewegung, waren eventuell der Meinung, dass das Kulturerbe vieler Jahrhunderte im 17. und 18. Jahrhundert in fremde Hände geraten worden war. Zweifelsohne war es in den dänischen oder schwedischen Bibliotheken besser aufgehoben als in den feuchten isländischen Torfhäusern, in denen die meisten Isländer noch immer hausten. Immerhin gingen die meisten der Pergamenthandschriften, die sich zur Zeit Árni Magnússons in Island befanden, aber nicht in seine Sammlung aufgenommen wurden, verloren. Die Voraussetzungen zur Aufbewahrung dieser Bücher waren auf Island tatsächlich nicht gegeben. Obwohl einige mittelalterliche Kirchen aus Holz gebaut waren, waren Holzhäuser in Island bis zum 17. Jahrhundert nur selten zu finden, am ehesten noch als Handelshäuser ausländischer Kaufmänner. Häuser aus gehauenem und gemauertem Stein wurden erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts auf Island errichtet.
Städtische Strukturen entstanden erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts, aber bereits 1818 gab es eine erste Art von Volksbibliothek. Die Stiftsbókasafn (Stiftsbibliothek) wurde auf den Vorschlag des dänischen Altertumforschers Carl Christian Rafn hin gegründet. Die Sammlung befand sich bis 1881 im Dachgeschoss der Domkirche in Reykjavik. Dann zog sie in das neugebaute Althingshaus am Austurvöllur um und der Name wurde in Landsbókasafn Íslands (Landesbibliothek Islands) geändert. 1909 zog die Sammlung dann in ein Haus in der Hverfisgata, das eigens zu diesem Zweck gebaut wurde und somit das erste eigentliche Bibliotheksgebäudedes Landes ist. Das Gebäude, zu jener Zeit das größte und schönste Haus des Landes, ist nun das Þjóðmenningarhús (Volkskulturhaus) und beheimatete zwischen 2002–13 die Handschriftenausstellung des Arnamagnäanischen Instituts. Die Isländer waren eigentlich bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht in der Lage, die Aufbewahrung der alten Handschriften selbst in die Hand zu nehmen. Nachdem das Land 1904 eine autonome Selbstverwaltung erhielt, wurden erstmals Wünsche nach der Rückkehr der isländischen Dokumente und Unterlagen aus Dänemark laut.