Vom 15. Jahrhundert bis zur Reformation
Ein Wendepunkt in der Buchproduktion
Zu Beginn des 15. Jahrhunderts ging die Buchproduktion auf Island zurück und nur wenige Handschriften sind aus der ersten Hälfte des Jahrhunderts erhalten. Um 1450 erlebte die Buchproduktion einen neuen Aufschwung. Viele Pergamenthandschriften sind bis zur Reformation 1550 und im weiteren Verlauf des 16. Jahrhunderts entstanden. Einige sind groß und recht gut geschrieben, aber sie sind bei weitem nicht so prachtvoll wie die Handschriften des 14. Jahrhunderts. Die Bücher sind kleiner, das Pergament schlechter und gröber und jedes Stück Haut wurde verwendet, auch wenn es schlecht geschnitten war. Die Schrift ist oft amateurhaft und die Illuminationen unterscheiden sich stilistisch von früheren Arbeiten.
Veränderte Umstände
Aufgrund veränderter Umstände und Missernten im Lande zeugen die Bücher nicht mehr von der gleichen Professionalität wie vorher. Als das norwegische Königreich, und mit ihm Island, 1380 unter die dänische Krone fiel, kam es zu einem Wandel im kulturellen Leben und im Handel. Der Export von Büchern nach Norwegen ließ nach. Die westnordischen Sprachen hatten sich außerdem auseinander in verschiedene Richtungen entwickelt. Diverse Sprachveränderungen sind bereits in den Handschriften aus dem 14. Jahrhundert zu beobachten. Die Gesellschaft wurde zudem in den ersten Jahren des 15. Jahrhunderts von der Pest im Land schwer getroffen.
Englische und deutsche Kaufleute
In den ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts nahm der Schiffsverkehr zwischen Norwegen und Island ab. Engländer landeten in großem Stil an der Küste Islands um Fisch zu fangen und zu kaufen. Aus diesem Grund wird das 15. auch als das englische Jahrhundert bezeichnet, während das 16. als das deutsche Jahrhundert bekannt ist, weil es zu dieser Zeit die Kaufleute der Hanse waren, die den Fischfang und Handel dominierten. Der Verkehr mit den englischen und deutschen Kaufleuten bestand bis ungefähr 1602. In diesem Jahr wurde in Dänemark ein Gesetz erlassen, das nur den Dänen gestattete, mit den Isländern Handel zu treiben. Fortan kamen ausländische Einflüsse zumeist aus dem dänischen Reich.
Die Auswirkungen der Pest auf die Buchproduktion
In der Mitte des 14. Jahrhunderts traf der Schwarze Tod Europa schwer und erreichte 1402 Island. Aus Annalen geht hervor, dass die Pest dort fast zwei Jahre lang wütete. Die Folgen der Seuche waren so fürchterlich wie andernorts. Ein Drittel der Einwohner starb und ganze Bezirke verödeten. Armut, Not und Elend breiteten sich aus, und die wirtschaftliche Lage verschlimmerte sich beträchtlich. Unter den Opfern waren auch Schreiber und Kunsthandwerker, mit deren Tod das Wissen über ihre Arbeit verloren ging. Das Schreiben von Büchern trat in den Hintergrund, während die Gesellschaft mit den Folgen der Pest zu kämpfen hatte.
In der Handschrift der Jónsbók (AM 132 4to, ca. 1450) befinden sich romanische Illuminationen, deren Blütezeit eigentlich im 13. Jahrhundert lag. |
Der Inhalt der Bücher verändert sich
Als sich die Buchproduktion um die Mitte des Jahrhunderts wieder erholte, veränderten sich die Inhalte der Bücher. Neue Erzählstoffe zu kreieren stand weniger im Vordergrund als ältere Texte abzuschreiben. Es wurden verschiedene religiöse Schriften aus dem Ausland übersetzt. Während die Pest in Europa wütete, wuchs das Interesse an persönlicher Einkehr und Andachtsliteratur, und die Anrufung der Heiligen nahm zu.
Überlieferte Handschriften bezeugen die Beliebtheit von Rímur, Vorzeit- und Rittersagas. Isländersagas wurden ebenfalls abgeschrieben, Königs- oder Bischofssagas hingegen seltener. Viele Lieder, Psalme und Rímur wurden gedichtet, das Verfassen von Annalen allerdings war nicht mehr von Bedeutung. Es blieb üblich Rechtstexte und Heiligenlegenden aufzuzeichnen.Viele dieser Handschriften stammen aus der Zeit vor der Reformation. Die illuminierten Handschriften der Jónsbók, z.B. AM 132 4to (1440–1460) oder die Heynesbók AM 147 4to (1525–1550), zeigen, dass die Illuminatoren sich weiter eng an den alten romanischen und gotischen Verzierungstraditionen orientierten, aber auch neuere Formen einbezogen. Im 16. Jahrhundert wird der wachsende Einfluss von ausländischen Drucken in der Handschriftenillustration erkennbar.
Eine neue Gedichtform wird populär
Rímur waren von Beginn an eine literarische Gattung, die von namentlich bekannten Skalden verfasst wurde. Diese suchten sich ihr Material in beliebten Sagas, besonders die Heldenstoffe. Es kommt vor, dass die Sagas verlorengegangen und die Geschichten nur in den Rímur erhalten geblieben sind. Sie wurden mit besonderen Melodien vorgetragen und waren vom 14. bis ins 20. Jahrhundert von großer Beliebtheit. Jeder Rímurzyklus wurde in mehrere Einzelgedichte beziehungsweise-abschnitte (eine Ríma) unterteilt, wie eine Saga in Kapitel. Es entstand eine Unmenge an Versmaßen sowie Rímurmelodien (Stemmur), nach denen gesungen wurde. In den Rímur verbinden sich der Gebrauch von Heiti und Kenningar aus der Tradition des Dróttkvætt und eine lebendige Darbietung der Sänger mit beliebten Sagastoffen, die in ein neues Gewand gebracht und für die Zuhörer vorgetragen wurden.
Gedichte von Maria Magdalene II, in AM 713 4to, eine Sammlung von Heiligengedichten von ca. 1550. Der Blattstreifen muss von Beginn an so ausgesehen haben, denn der Text ist vollständig. |
Erneuerung und erhaltene Tradition
Das Aufzeichnen alter Sagas schaffte eine Kontinuität in der Literatur und Sprache, sowohl in der Ausdrucksweise als auch im Flexionssystem. Die Tradition des Dróttkvætt verschwand in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, aber Heiligengedichte wurden weiterhin in diesem oder im eddischen Versmaß verfasst. Hinweise auf diese Beziehungen lassen sich vielleicht in der Handschrift AM 757 a 4to von ca. 1400 erkennen. Dort stehen Teile der Snorra-Edda und des Dritten Grammatischen Traktats vor fünf Heiligengedichten. Auch wenn mit dem Gedichtzyklus Lilja des Mönches Eysteinn Veränderungen in der poetischen Sprache und des Metrums aufschienen, behielten die Rímur ihre alte Form, die sich lediglich etwas vereinfachte und steifer wurde.
Kompilationen aus dem 15. und 16. Jahrhundert
In Büchern wurden Stoffe verschiedener Art zusammengetragen. Beliebte Sagas voller abenteuerlicher Elemente wurden oft zusammen in Büchern gesammelt, zum Beispiel Isländersagas über Geächtete, Þættir (kurze Erzählungen) und Vorzeit- und Rittersagas. Demgegenüber wurden Heiligenlegenden und Gedichte für gewöhnlich in eigenen Büchern zusammengetragen. Die Sagahandschrift AM 556 a und b 4to (1475–1499) ist in der Árni Magnússons Sammlung in zwei Teilen aufbewahrt, die ursprünglich ein Buch ausmachten. Der b-Teil der Handschrift (44 Blätter) enthält drei Ritter- und Vorzeitsagas, während der a-Teil (88 Blätter) aus einer Rittersaga und drei Isländersagas besteht, der Grettis saga, der Gísla saga Súrssonar und der Harðar saga og Hólmverja. Der Text des Gedichtes Grettisfærsla wurde ausgekratzt, da er aufgrund der Beschreibung von Grettirs Vorlieben im Bett wohl als unpassend empfunden wurde.
Buchproduktion im Eyjafjörður – Kloster oder Kirchengrund?
In AM 343a 4to (1450–1475), einem größeren Pergamentbuch mit einem Holzdeckel, sind 15 Vorzeit- und Rittersagas enthalten. Die Handschrift besteht aus 110 Blättern, von denen einige verlorengegangen sind. Untersuchungen deuten darauf hin, dass der Hauptschreiber dem C-Zeichner der Teiknibók (AM 673 a III 4to) entsprechen könnte. Seine individuelle Handschrift ähnelt denen mehrerer Manuskripte, z.B. AM 81 a fol. mit Königssagas und Perg. fol. nr. 7 in Stockholm mit sowohl übersetzten als auch originalen Rittersagas. Zu dieser Gruppe an Manuskripten gehören auch Gesetze und mehrere weltliche Sagas, die Jónsbók in AM 132 4to, die Egils saga, die Svarfdæla saga und eine unvollständige Handschrift mit Ritter- und Vorzeitsagas. Die Schreibarbeiten können mit dem Benediktinerkloster in Munkaþverá in Verbindung gebracht werden, mit gleicher Berechtigung kann allerdings auch von einer Entstehung in Möðruvellir im Eyjafjörður ausgegangen werden. Dort befanden sich eine Kirche und ein Landbesitz, der einer der größten Islands war. Dort führte Margrét Vigfúsdóttir ein halbes Jahrhundert den Hof, und dort waren zweifellos sowohl die nötigen Mittel als auch der Ehrgeiz für die Produktion von Büchern vorhanden.
Bücher und Schreiber bis zur Reformation
Aus dem 15. und 16. Jahrhundert sind mehr Schreiber namentlich bekannt als aus den Jahrhunderten davor. Während einige ihre Namen in den Büchern notierten, konnten andere im handschriftlichen Vergleich mit erhaltenen Urkunden identifiziert werden. Einige wenige Handschriften sind auf diese Weise mit Kirchen in Zusammenhang gebracht worden, andere mit einzelnen Priestern. Möglicherweise ist nach der Pest die Buchproduktion in den Klöstern zurückgegangen, zumindest schrieben viele Laien sowohl religiöse Texte als auch Kirchenhandschriften.
AM 624 4to ist ein umfangreiches Buch, das nach 1500 entstanden ist und aus 170 Blätter besteht. Wahrscheinlich war es das Handbuch eines Priesters, der seine Reden mit verschiedenen Stoffen anreicherte. Es enthält theologische, musikalische, mathematische, astronomische und abenteuerliche Texte sowie Gedichte, Almanache, Homilien und die Duggalsleiðsla ('Vision des Tnugdalus'). Sowohl Fabelsammlungen als auch Abenteuer englischer Provenienz wurden im 15. Jahrhundert übersetzt. Sie waren zwar schon früher bekannt gewesen, zum Beispiel aus alten Homilien, wurden jedoch vor dem 14. Jahrhundert nicht besonders gezielt in Büchern gesammelt.
Beschäftigung mit Büchern in der Familie Lofts des Reichen
Die Nachkommen Loft Guttormssons des Reichen, eines Lehnsherrn, Sysselmanns und Ritters aus Möðruvellir (ca. 1375–1432), waren produktive Schreiber, die ihren Anteil an der Buchproduktion nach der Pestepidemie hatten. Loft war der Schwiegervater Margréts von Möðruvellir. Zwei seiner Söhne beschäftigten sich im Zeitraum von ca. 1420–1450 mit Schreibarbeiten. Orm schrieb Heiligenlegenden, Teile von Perg. fol. nr. 2 in Stockholm (insgesamt 26 Geschichten) und AM 238 VIII fol. (unvollständig, drei Geschichten), wohingegen Ólaf sich auf das Schreiben weltlicher Literatur konzentrierte, in AM 557 4to (zwölf Sagas) und AM 162 C fol. (unvollständig, sechs Sagas).
Þorleif Björnsson, ein Lehnsherr in Reykhólar, der im 15. Jahrhundert unter anderem den jüngeren Teil der Flateyjarbók anfertigen ließ, war ein Enkel Lofts des Reichen. Björn, der Sohn Þorleifs (ca. 1480–1548), lebte in Reykhólar und schrieb in dem Zeitraum von 1500–1540 mindestens drei Bücher: die Heiligenlegenden in der Reykjahólabók Perg. fol. nr. 3 in Stockholm (25 Geschichten), Apostelgeschichten, von denen Überreste in AM 667 V und XI 4to enthalten sind sowie Fragmente aus der Johannesoffenbarung in AM 667 X 4to. Björns Halbbruder Þorsteinn Þorleifsson schrieb, möglicherweise in dessen Auftrag, von ca. 1500–1525 den ersten Teil von AM 152 fol., eine Handschrift, die zu den umfangreichsten Sagabüchern des Mittelalters zählt und elf Sagas auf 201 Blättern enthält.
Friðþjófs saga in der Sagahandschrift AM 510 4to, geschrieben von Pfarrer Ari Jónsson und seinen Söhnen Tómas und Jón. |
Bekannte Schreiber
In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts lebte der bekannte Schreiber Jón Þorláksson, von dem es heißt, dass seine drei Schreibfinger auch nach seinem Tod nie steif wurden. Jón hatte einen Bruder, der auch seinen Namen trug und eventuell ebenfalls schrieb. Es sind zahlreiche Handschriften und Handschriftenfragmente erhalten, die von Jón und möglicherweise seinem Bruder geschrieben und illuminiert worden sind: darunter Überreste zweier großer Kirchenbücher, Gesangbücher und Graduale mit Noten. Jón bekam Kinder mit Sólveig Björnsdóttir, einer Enkelin Lofts des Reichen.
Der Priester Ari Jónsson war ein Enkel von Jón und Sólveig, dessen Söhne Tómas und Jón hießen. Nach heutigem Wissenstand waren beide Laien. Ihre Handschriften ähneln der ihres Vaters, mit dem sie Mitte des 16. Jahrhunderts zusammenarbeiteten. Die Manuskripte, die sie verfassten, unterscheiden sich inhaltlich stark voneinander. Überliefert sind unter anderem zwei umfangreiche bedeutsame Gedichtsammlungen: die Staðarhólsbók rímna AM 604 4to, die größte Rímursammlung des Mittelalters mit 33 Rímurzyklen, sowie AM 713 4to mit 53 Heiligengedichten, die ebenfalls die größte überlieferte Sammlung ihrer Art ist. Daneben stammt von ihnen ein Sagabuch, das acht Sagas enthält (AM 510 4to) und eine kleinformatige Handschrift (AM 431 12mo) mit der Legende Margaretas, der Schutzheiligen der gebärenden Frauen. Weiterhin schrieben sie AM 736 III 4to. Die Handschrift behandeltWeltbilder, die Elemente und viele lexikalische Stoffe. Das Rechtsbuch AM 160 4to und vier andere Fragmente von Rechtstexten gehen ebenfalls auf sie zurück.
Verlorengegangene Gesetzesbücher
Bjarni Jónsson schrieb als einfacher Mann im 16. Jahrhundert viele Rechtsbücher, wie einer Randnotiz zu entnehmen ist: "Dies ist das achtzehnte von der Hand des Schreibers." Nur zwei dieser Bücher sind bekannt, ein Umstand, der auf eine umfangreiche Vernichtung von Handschriften hinweisen könnte. Denkbar ist auch, dass Bjarni mehr als 18 Bücher geschrieben hat.
Zerstörung katholischer Bücher nach der Reformation
Katholische Messbücher und andere lateinische und nordische Heiligenbücher wurden während und nach der Reformation 1550 im großen Stil zerstört. Laien bekamen die Aufsicht über die Klöster, die zweifellos große Bibliotheken besaßen. Über deren Bestände gibt es zwar keine vollständigen Register, aber vieles wechselte den Besitzer. Auf den Autodidakten und Schreiber Jón Guðmundsson (geb. 1574) geht zurück, dass die Repräsentanten der neuen Religion die Bücher der Klöster und Kirchen zerstören ließen. Die Bücher des Klosters Helgafell wurden in zwei bis drei Bränden zusammen mit anderem "Kirchengerümpel" vernichtet. Allerdings ertrank der Pfarrer, der die Bücherverbrennung veranlasst hatte, später im See von Helgafell. Dies wurde als Strafe für seine Taten gewertet. Aber nicht alle katholischen Bücher wurden verbrannt, da man das Pergamentbeispielsweise als Umschlag oder Einband für neue Bücher verwenden konnte. So blieben Fragmente vieler lateinischer Bücher erhalten..
Überschrift der Abschrift der Íslendingabók aus dem 17. Jahrhundert, die der Pastor Jón Erlendsson für den Bischof Brynjólfur anfertigte. |
Papier statt Pergament
Im 16. Jahrhundert kam das Papier nach Island und wurde nach und nach als Material zum Schreiben angenommen, bis es um 1600 vorherrschte. Zunächst wurde es nur in den Archiven der Bischofssitze verwendet, da dort das Abfassen von Briefen einen wesentlichen Bestandteil der Arbeit ausmachte. Mit der Zeit nutzten immer mehr Schreiber das Papier, beschleunigten ihr Schreiben mit neuen Schreibstilen und reduzierten die Verwendung von platzsparenden aber schwerer zu lesenden Spezialzeichen und Abkürzungen. Nur beim Kopieren von alten Manuskripten ahmten sie die Schrift der Vorlage nach.
Der wachsende Bildungsgrad im Volk bedingte, dass mehr Menschen schreiben konnten und mehr Handschriften entstanden. Die Schriften Arngrím des Gelehrten berichteten ausländischen Gelehrten von der Entstehung und dem Inhalt der alten isländischen Literatur, so dass die Texte der alten Pergamentbücher im 17. Jahrhundert massenhaft auf Papier abgeschrieben wurden.
Nach dem Ende der Freistaatszeit lebten die Isländern in einer festen Feudalherrschaft, wie auch die anderen Länder Europas, und hatten wenig Einfluss auf die Machtstruktur der Gesellschaft oder auf die Regierung im fernen Land. Sie behielten ihre Schreibkultur bei, die sich an die Verhältnisseneuer Zeit anpasste. Neue Themen, neue Saga- und Gedichtformen und neue Schreibtradtionen folgten den überlieferten. Der isländische Eifer, über Jahrhunderte hinweg eigene Bücher zu schreiben, hat spätere Generationen immer wieder fasziniert.