Arbeitsbedingungen der Schreiber
Schreiber bei der Arbeit auf einer Seite der Hamburger Bibel. |
Marginalien als Quellen
Es gibt nur wenige Quellen zu Arbeitsmilieu und -Methoden der isländischen Schreiber, aber besonders Randbemerkungen aus dem Spätmittelalter können ein Bild über ihre Lage und ihr Befinden vermitteln. Kontinentale Quellen füllen die Lücken zu einem gewissen Grad.
Durch das Lesen ihrer Marginalien gewinnt man einen Einblick in die gequälten Seelen der Schreiber. Manche Bücher sind voller Kommentare, wenn den Schreibern viel auf dem Herzen liegt. Der Pfarrer Ari Jónsson und seine zwei Söhne Tómas und Jón, die im 16. Jahrhundert lebten, scheinen viele Manuskripte geschrieben zu haben. Ihre Handschriften ähnelten sich so sehr, dass es oft schwierig ist, zu unterscheiden, wer was geschrieben hat.
Unter den Büchern, die ihnen zugeschrieben werden, sind die Rímur-Handschrift AM 604 4to, die Saga-Handschrift AM 510 4to, die Heiligenlieder-Handschrift AM 713 4to und ein kleines Manuskript der Margrétar saga AM 431 12mo. An vielen Stellen auf den Rändern dieser Manuskripte, besonders aber auf denen der Rímur-Handschrift, teilen die Schreiber ihre Gedanken mit. Die Inhalte ihrer Klagen sind von unterschiedlicher Natur, um Liebeskummer handelt es sich z.B. in zwei Büchern: Úti er það, hún unni mér (Aus ist es, sie liebte mich). Noch öfter kommen kurze Gedichte und Verse auf den Rändern vor, darunter auch die folgende Weise aus dem Manuskript AM 604 4to, die den Zustand des Federkiels beschreibt:
Hässlich und struppig ist die Feder anzusehen |
Siegel des Klosters Þingeyrar, einem Zentrum der Buchproduktion im Mittelalter. Das Siegel stammt aus der Handschrift AM 217 8vo. |
Behausung
Die Arbeit des Schreibers erforderte Präzision und Geduld und war deshalb sehr anstrengend. Hinzu kam, dass die Arbeitsumstände im Mittelalter sich von denen, wie wir sie heute kennen, unterschieden. Aus Angst, die wertvollen Manuskripte zu beschädigen, wurden die Skriptorien der europäischen Klöster weder beheizt noch auf eine andere Art als mit Tageslicht beleuchtet. Auf Island wird man jedoch zur dunklen Jahreszeit auch Lampen benutzt haben, da man das Schreiben nicht gänzlich einstellen konnte. Das Schreiben von Briefen war z.B. das gesamte Jahr über notwendig.
In den Skriptorien der europäischen Klöster war vollkommene Stille geboten, um die Konzentration zu gewährleisten, die die Präzisionsarbeit des Schreibens von Texten erforderte. Man durfte nicht eintreten und die Schreiber mit bedeutungslosen Bemerkungen stören, sobald die Arbeit begann. Die Schreiber arbeiteten in speziellen Räumen oder in öffentlichen Aufenthaltsräumen des Klosters, es scheint jedoch nicht üblich gewesen zu sein, dass Schreibarbeiten in Klausur ausgeführt wurden, obwohl es dazu Gelegenheit gegeben hätte.
Es ist nicht sicher, ob die Umstände in den isländischen Klöstern ähnlich waren, da die Bevölkerungsknappheit des Landes die Arbeit geprägt hat. Im Vergleich zu europäischen Klöstern waren die isländischen eher dünn besetzt.
Bildinitiale aus der Flateyjarbók GKS 1005 fol. Hier könnte ein Schreiber mit einem Reisepult auf dem Rücken auf dem Weg zur Arbeit in einem Kloster sein. |
Den Marginalien zufolge waren Schreiber auf Island bei der Arbeit manchmal einsam: Nú þykir mér langt einum saman í skrifstofunni (Jetzt wird mir die Zeit allein in der Schreibstube lang), steht auf einem Rand der von einem Laien geschriebenen Margrétar saga AM 433 a 12mo. Die Bemerkung ist vermutlich von einem Schreiber in einem Kloster oder auf einem großen Gutshof geschrieben worden, da es auf den kleineren Höfen keine speziellen Schreibstuben gab.
Berufsschreiber, die außerhalb von Klöstern arbeiteten, d.h. an Bischofssitzen und auf großen Gutshöfen, hatten zweifelsohne Zugang zu speziellen Schreibstuben wie dieser. Bücher sind aber auch dort geschrieben worden, wo es keine eigenen Schreibstuben gab. Die Arbeitsumstände in Örtlichkeiten, die zum Schreiben gedacht waren, sind jedoch vermutlich besser gewesen.
Dunkelheit und Kälte
Wahrscheinlich war die Produktion von Büchern zu einem Gewissen Grad von der Jahreszeit abhängig und Frühling, Sommer und Herbst, wenn es am hellsten war, am geeignetsten. Die folgende Bemerkung auf einem Rand der Rímur-Handschrift AM 604 4to deutet möglicherweise an, dass die Veränderung der Lichtverhältnisse für den Schreiber bedeutete, dass er seine Arbeit einstellen musste:
Jetzt ist die Dunkelheit gekommen, Edelfrau |
Isländische Schreiber haben manchmal wie ihre Arbeitskollegen auf dem Kontinent gefroren. Illt er að skrifa í útnyrðingi (Schlecht schreibt es sich im Nordwestwind), steht in der Rímur-Handschrift AM 604 4to. Die Umstände waren sicher besser in privat geführten Skriptorien in Europa als in Klöstern. Es kann sein, dass manche Arbeitsräume isländischer Schreiber beheizt und ihre Schreibpulte in den dunkelsten Winternächten beleuchtet waren.
Alte Brille aus dem Nationalmuseum Islands (5506) |
Arbeitsgebrechen
Verschiedene körperliche Unannehmlichkeiten, wie z.B. Rücken- und Augenschmerzen, die von den Umständen beim Schreiben herrührten, plagten die Schreiber, wie ihre vielen Klagen am Ende von Büchern und auf Rändern zeigen. Einer von ihnen, der im 8. Jahrhundert in Europa lebte, bittet die Nutzer des Buches, vorsichtig und rücksichtsvoll damit umzugehen, da große Anstrengungen mit dessen Herstellung verbunden waren:
O glüchlichster Leser, washe Deine Hände und fasse so das Buch an, drehe die Blatter sanft, halte die Finger weit ab von den Buchstaben. Der, der nich weiß zu schreiben, glaubt nicht, daß dies eine Arbeit sei. O wie schwer ist das Schreiben: es trübt die Augen, quetscht die Nieren und bringt zugleich allen Glieden Qual. Drei Finger schreiben, der ganze Körper leidet... Notiz des Schreibers eines westgotischen Rechtsbuchs aus dem 8. Jahrhundert. Mont. Germ. Leg. III (1863), S. 589. Auf der Titelseite in: Vera Trost. 1991. |
Wenn man diese Beschreibung im Hinterkopf hat, ist es nicht verwunderlich, dass dieses körperliche Unbehagen, das das Schreiben nach sich zog, in europäischen Klöstern manchmal als Buße angewendet wurde.
Das Erblinden war eine gängige Arbeitskrankheit der Schreiber, da sie Texte oft bei schlechtem Licht betrachten mussten. Bevor es Brillen gab, machten viele sich Gedanken über Sehschwäche, wie auf den Rändern der Rímur-Handschrift AM 604 4to deutlich wird: augnaveikur er aulinn (der Dummkopf hat ein Augenleiden), kommt aus der Feder des Schreibers, der darauf seinen Erlöser um Hilfe bittet (Jesus, Sohn der Maria, schütze die Augen deines Dieners).
Marginalie in einer Handschrift der Margrétar saga, AM 433 a 12mo. |
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